BSG bestätigt nochmals Rechtswidrigkeit der Kürzung von Sozialleistungen für behinderte Menschen
Das Bundessozialgericht hat mit einer aktuellen Entscheidung vom 24.03.2015 die Rechtsprechung fortgeführt, dass bei verfassungskonformer Auslegung des § 27a Abs 3 SGB XII iVm der Anlage zu § 28 SGB XII, wenn erwerbsunfähige volljährige behinderte Menschen mit ihren Eltern bzw einem Elternteil zusammenleben, aufgrund gesetzlicher Vermutung (§ 39 SGB XII) von einer gemeinsamen Haushaltsführung auszugehen ist und damit Leistungen für den Lebensunterhalt grundsätzlich nach der Regelbedarfsstufe 1 (100 %) statt der Regelbedarfsstufe 3 (80 %) zu gewähren sind. Eine Vorlage der Sache an das BVerfG bedürfe es nicht, weil Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelung und deren Sinn und Zweck eine eindeutige Auslegung zulassen. Eine Ersparnis von 20 % sei ohnedies statistisch nicht belegt (Az.:B 8 SO 9/14 R ).
Das Bundessozialgericht in Kassel hatte bereits im Sommer 2014 entschieden, dass die bisherige Kürzung, so die Richter in drei Grundsatzurteilen (AZ: B 8 SO 14/13 R, B 8 SO 31/12 R, B 8 SO 12/13 R) gegen den Gleichheitsgrundsatz und gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstoße. Folglich stehe Erwachsenen mit Behinderung, die bei ihren Angehörigen leben, die volle Grundsicherung zu. Das BMAS teilte die Auffassung des Achten Senats des Bundessozialgerichtes nicht. Es hatte die Bundesländer angewiesen, die Urteile des BSG nicht umzusetzen. Die Sozialleistungsträger verweigern unter Berufung auf diese Weisung die Bewilligung des vollen Regelsatzes. Statt der Gewährung eines Regelsatzes in Höhe der Bedarfsstufe 1 werden nur um 20% gekürzte Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 3 bewilligt. Betroffene erhalten daher 80 EUR weniger. Am 17.03.2015 teilte das BMAS auf Anfrage von FOCUS Online mit, dass die einschlägigen Urteile des Bundessozialgerichts nun umgesetzt werden. Die Umsetzung werde wie folgt angeordnet: "Bis zum Inkrafttreten der nächsten Regelbedarfsermittlung (voraussichtlich 1. Januar 2017), bleibt es zwar für den von den Urteilen betroffenen Personenkreis rein formal bei der Einordnung in Regelbedarfsstufe drei, aber es erfolgt die Gleichstellung in finanzieller Hinsicht im Wege einer abweichenden Regelsatzfestsetzung, dabei wird der Regelsatz in Höhe des sich nach Regelbedarfsstufe eins ergebenden Betrags festgesetzt." Das heißt: Die Betroffenen werden zwar weiter in der niedrigeren Stufe drei eingeordnet, bekommen aber die höheren Leistungen, d.h. monatlich 80 EUR mehr. "Die betroffenen Leistungsberechtigen werden finanziell so gestellt, wie das BSG dies in seinen Urteilen entschieden hat. Der Bundesgesetzgeber wird im Rahmen der 2016 anstehenden Regelbedarfsermittlung dann auch diese Frage gesetzlich neu regeln", heißt es in der Mitteilung an FOCUS Online. Betroffene sollten nun auf eine abgeänderte Entscheidung drängen und ggf. für zurückliegende Zeiträume einen Überprüfungsantrag stellen.
Constanze Würfel Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht