BSG konkretisiert Vorraussetzungen für Genehmigung einer Cannabis-VO

Vorbestehender Cannabiskonsum und/oder eine Suchtmittelabhängigkeit ist grundsätzlich kein Grund für eine Verweigerung der Genehmigung einer ärztlichen Verordnung von Cannabis durch die Krankenkasse

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in vier Urteilen am 10.11.2022 die Voraussetzungen der Genehmigung vertragsärztlicher Verordnungen von Cannabisblüten durch die Krankenkassen (KK) gemäß § 31 Abs 6 SGB V deutlich präzisiert.

Für die Erteilung der Genehmigung einer Cannabis-Verordnung reicht es aus, dass der Vertragsarzt der KK den Inhalt der geplanten Verordnung mitteilt oder der Versicherte der KK eine entsprechende Erklärung des Vertragsarztes übermittelt. Dazu gehört die Arzneimittelbezeichnung, die Verordnungsmenge und die Gebrauchsanweisung mit Einzel- und Tagesdosis und Anwendungsform. Die Vorlage einer vom Arzt bereits ausgestellten Verordnung ist nicht erforderlich.

Der Anspruch auf Versorgung mit Cannabis besteht nur zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung. Eine Erkrankung ist schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. Zur Lebensqualität gehören neben der Befriedigung von Grundbedürfnissen auch soziale Beziehungen und die Teilnahme am Erwerbs- und Gesellschaftsleben. Die Beeinträchtigung der Lebensqualität ergibt sich deshalb nicht allein aus einer ärztlich gestellten Diagnose, abzustellen ist auf die konkreten Funktionsstörungen und -verluste, Schmerzen etc.

Rechtfertigen die Auswirkungen bereits allein, ohne Einbeziehung weiterer Erkrankungen, einen Grad der Behinderung von 50, kann im Regelfall von einer schwerwiegenden Erkrankung ausgegangen werden. Dies ist jedoch weder als starrer Grenzwert zu verstehen, noch ist eine formelle Feststellung eines GdS oder GdB erforderlich, um einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis zu begründen.

Die Genehmigung einer Cannabis-Verordnung setzt weiter voraus, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung entweder nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes nicht zur Anwendung kommen kann. Das Gesetz räumt dem behandelnden Vertragsarzt insoweit das Vorrecht ein, über die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Verordnung letztverbindlich zu entscheiden. An die begründete Einschätzung des Arztes werden sehr hohe Anforderungen gestellt. Dies ergibt sich bereits aus dem Betäubungsmittelgesetz, welches durch die sozialrechtliche Regelung nicht aufgehoben ist.

Krankenkassen und Gerichte dürfen die vom Vertragsarzt abgegebene begründete Einschätzung nur daraufhin überprüfen, ob die Angaben als Grundlage der Abwägung vollständig und inhaltlich nachvollziehbar sind und das Abwägungsergebnis nicht völlig unplausibel ist. Eine weitergehende Prüfung des Abwägungsergebnisses auf Richtigkeit ist ausgeschlossen. Dies gilt auch im Fall eines vorbestehenden Suchtmittelkonsums oder einer vorbestehenden Suchtmittelabhängigkeit, betont das BSG. Ob dieser Umstand eine Kontraindikation für die Behandlung mit Cannabis darstellt, ist vom Vertragsarzt im jeweiligen Einzelfall abzuwägen und in der begründeten Einschätzung darzulegen.

Schließlich setzt der Anspruch voraus, dass durch die Behandlung mit Cannabis eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Auswirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Die Erfolgsaussicht muss sich auf die Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung oder auf besonders schwere Symptome/Auswirkungen (bsp.weise Appetitlosigkeit/Übelkeit bei Chemotherapie) beziehen. An die Prognose sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Ausreichend ist, dass die Behandlung im Ergebnis mehr nutzt als schadet.

Liegen die vorgenannten Tatbestandsvoraussetzungen vor, darf die Krankenkasse die Genehmigung der Verordnung grundsätzlich nicht, d.h. nur in eng begrenzten Ausnahmefällen verweigern. Das dem Vertragsarzt eingeräumte Vorrecht zu entscheiden, ob von einer Unanwendbarkeit einer Standardtherapie auszugehen ist, dürfe auch hier nicht unterlaufen werden. Ein Vorkonsum bzw. eine Cannabisabhängigkeit würden regelmäßig keinen solchen Ausnahmefall begründen, widerspricht das BSG der häufig anzutreffenden Argumentation der Krankenkassen.

Das sind selten klare Worte des höchsten Sozialgerichtes und eine Stärkung der ärztlichen Verordnungsbefugnis. Aber es fordert die Vertragsärzte auch hinsichtlich der geforderten begründeten Einschätzung.

 

Constanze Würfel
Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht

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