Hilfsmittel für Gehbehinderte: Bundessozialgericht ändert Rechtsprechung
Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Hilfsmittelversorgung für Gehbehinderte verbessert. Nach drei neueren Urteilen (Az. B 3 KR 13/22 R und weitere) müssen die Krankenkassen künftig auch leistungsfähigere Hilfsmittel als bislang bezahlen. Begründet wird dies mit inzwischen oft weiteren Wegen für die tägliche Versorgung bei gleichzeitig kürzeren Strecken, die nicht gehbeeinträchtigte Menschen zu Fuß zurücklegen.
Der heute 54-jährige Kläger im v.g. Verfahren wohnt im Weserbergland in Niedersachsen. Seit einem Verkehrsunfall vor 30 Jahren ist er querschnittsgelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen. Seit einigen Jahren leidet er zudem an einer Arthrose im linken Daumen, was zu Schmerzen beim Bewegen des Rollstuhls führt. Bei seiner Krankenkasse beantragte er die Versorgung mit einem Rollstuhlzuggerät mit Handkurbel und Motorunterstützung. Mit dem 6.500 Euro teuren Gerät könne er Geschwindigkeiten von bis zu 25 km/h erreichen.
Laut Gesetz müssen die Krankenkassen Hilfsmittel für die Erschließung des Nahbereichs der Wohnung bereitstellen. Das BSG verstand dies bislang als den fußläufig zurücklegbaren Bereich. Es ging dabei davon aus, dass so zumindest auch ein Lebensmittelgeschäft und eine Apotheke erreichbar sind. Für leistungsfähigere Hilfsmittel, die auch weitere Wege oder eine Fortbewegung mit mehr als Schrittgeschwindigkeit ermöglichen, mussten die Krankenkassen bisher nicht aufkommen. Ggf. bestand ein Anspruch gegenüber dem Träger der Eingliederungshilfe. Oft schieben sich Krankenkasse und Sozialamt daher das Problem hin und her.
Diese Rechtsprechung gab das BSG nun auf. Die Annahme, dass die wichtigsten täglichen Besorgungen zu Fuß möglich sind, treffe heute oft nicht mehr zu. Zudem habe sich das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung geändert. Strecken, die üblicherweise zu Fuß zurückgelegt würden, seien heute deutlich kürzer als früher.
Versorgungsmaßstab nach der neuen Rechtsprechung sind daher die „erforderlichen Wege zu den wesentlichen Stellen der allgemeinen Versorgung und der Gesunderhaltung“. Ob dafür motorunterstützte Hilfen notwendig sind, hänge von den örtlichen Gegebenheiten ab, etwa von der Entfernung der Geschäfte, aber auch von einer eventuellen Unwegsamkeit des Geländes.
Weiter urteilte das BSG, dass die Krankenkassen gegebenenfalls auch Hilfsmittel bezahlen müssen, deren Leistungsfähigkeit über diesen Bedarf hinausgeht. Auf langsamere Hilfsmittel mit geringerer Reichweite können sie nur verweisen, wenn diese tatsächlich verfügbar sind.
Im Streitfall sprach das BSG dem Kläger das gewünschte Rollstuhlzuggerät schon deshalb zu, weil sich mit anderen Hilfsmitteln die Arthrose im Daumen verschlimmern würde. Dass ein geeignetes Zuggerät mit geringerer Motorleistung verfügbar sei, habe die Krankenkasse nicht dargelegt.
Diese neue Rechtsprechung wird vielen Betroffenen das Leben erleichtern und so manchen Rechtsstreit ersparen.
Constanze Würfel
Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht