Integration schwerbehinderter Menschen ins Arbeitsleben – wie kann sie gelingen?

Ein persönliches Resümee‘ zum Jahresende

Aus meiner beruflichen Erfahrung muss ich einschätzen, dass viele Streitigkeiten um Arbeitslosengeld oder Rente im Zusammenhang mit einer Langzeiterkrankung vermieden werden könnten, wenn von allen Beteiligten rechtzeitig alles unternommen würde, um den Arbeitsplatz des langzeiterkrankten (und/oder behinderten) Beschäftigten zu erhalten oder ihn so schnell wie möglich wieder in eine leidensgerechte Beschäftigung zu bringen. Umso länger eine schwerbehinderte Beschäftigte aus dem Arbeitsleben ausscheidet, umso schwieriger wird es, sie wieder ins Arbeitsleben zu integrieren. Dies belegen zahlreiche Statistiken. Fälle, wie diese sind in meiner Beratungspraxis kein Einzelfall: Ein junger Arbeitnehmer, der aufgrund eines mehrfachen Bandscheibenvorfalles nicht mehr als Metallbauer tätig werden kann wird aus der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme mit der eindeutigen Feststellung entlassen, dass er seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr verrichten kann. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er noch vollschichtig eingesetzt werden. Obwohl mit dieser Feststellung ein Anspruch auf eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben belegt ist, passiert danach in vielen Fällen - nichts. Der junge Metallbauer muss sich nach Auslaufen seines Krankengeldanspruches arbeitslos melden, um weiter finanziell abgesichert zu sein. Der sozialmedizinische Dienst der Bundesagentur für Arbeit (BA) schätzt dann großzügig ein, dass der arbeitslose Metallbauer nur noch untervollschichtig einsatzfähig sei. Die BA fordert ihn daher nun zur Rentenantragstellung auf, obwohl bereits jetzt absehbar ist, dass ein Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente nicht besteht. Denn, für diesen Anspruch wird nicht auf das Leistungsvermögen in der zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Metallbauer, sondern auf den allgemeinen Arbeitsmarkt abgestellt.
Ein Rentenverfahren dauert im Schnitt 2-3 Jahre. Oft sind wir Anwälte die ersten, die dem Mandanten im Rahmen einer Einschätzung zu den Erfolgsaussichten der Weiterverfolgung des Rentenanspruches nahe legen, doch das Rentenbegehren zurück zu stellen und dafür vom Rententräger Leistungen zur Teilhabe einzufordern. Dieser Antrag hätte aber bereits 2 Jahre früher gestellt werden können. Inzwischen ist nicht selten bereits eine Chronifizierung der Schmerzen eingetreten und aufgrund der fehlenden beruflichen Perspektive eine Depression hinzu getreten. Zu guter Letzt empfiehlt die BA auch noch in vielen Fällen, zur Aufrechterhaltung des Arbeitslosengeldanspruches das Arbeitsverhältnis aufzulösen, da ja ohnehin kein Einsatz mehr möglich sei. Dies ist schlicht falsch. Und nun ist der junge Metallbauer im Spannungsfeld zwischen Krankenkasse – BA und Rententräger und weiß nicht weiter… Über derartige Fälle bin ich immer wieder verärgert. Wie hätte es besser laufen können? Zunächst wäre es angezeigt gewesen, dass der Arbeitgeber frühzeitig im Rahmen von Maßnahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) prüft, wie und ob die lange Arbeitsunfähigkeit behoben und das Beschäftigungsverhältnis mit dem jungen Metallbauer aufrechterhalten werden kann - ggf. unter Veränderung der Arbeitsbedingungen oder durch einen anderweitigen Einsatz. Der junge Metallbauer könnte aufgrund seines sehr guten Berufsabschlusses bsp.weise nach einer Umschulung als technischer Konstrukteur in der Firma eingesetzt werden. In diesem Zusammenhang wäre zudem eine zeitnahe Einbeziehung des Rentenversicherungsträgers und ggf. der BA und des Integrationsamtes angezeigt gewesen. Mit deren Unterstützung hätte der Arbeitsplatz über die Inanspruchnahme bestimmter Fördermaßnahmen erhalten werden können. Aber auch die DRV oder spätestens die BA hätten den Metallbauer nach Prüfung des Rentenantrages auf der Grundlage der beigezogenen Befunde der behandelnden Ärzte zu einem persönlichen Gespräch einladen und ihn über mögliche Teilhabeleistungen aufklären können. Meine Erfahrung zeigt, dass die meisten Arbeitnehmer trotz Rentenantrag eigentlich an einer beruflichen Wiedereingliederung interessiert sind. Eine reine Entscheidung nach Aktenlage bringt hingegen alle Beteiligten nicht voran. Arbeitgeber und alle Rehabilitationsträger sollen nach dem Gesetz aktiv an der Förderung der Teilhabe behinderter Menschen mitwirken. Nur wenn diese gesetzliche Verpflichtung auch praktisch umgesetzt wird, kann vermieden werden, dass behinderte Menschen ausgegrenzt werden. Der Zahlung von Entgelt für eine leidensgerechte Beschäftigung ist eindeutig der Vorrang gegenüber steuer- oder beitragsfinanzierten Lohnersatzleistungen wie Arbeitslosengeld, Rente oder Sozialhilfe zu geben. Und - die von mir kritisierte verschleppte Integration von schwerbehinderten Menschen in den Arbeitsmarkt belastet nicht zuletzt auch den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.

Constanze Würfel Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht

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