Therapie statt Strafe

Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und steht fest, dass er die Tat auf Grund einer Drogenlabhängigkeit begangen hat, so kann gemäß § 35 BtMG (Betäubungsmittelgesetz) die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen.

Voraussetzung ist, dass der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen und deren Beginn gewährleistet ist. In der Regel setzt dies voraus, dass eine Kostenzusage für eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in Form einer Drogenentwöhnungstherapie vorliegt. In der Praxis kommt es jedoch häufig vor, dass Krankenasse oder Rentenversicherung die Gewährung einer stationären Drogenentwöhnungsmaßnahme ablehnen. Es wird argumentiert, eine medizinische Drogenentzugstherapie könne im Maßregelvollzug erfolgen, dies habe Vorrang. Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt hat in einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vom 30.03.2015, Az.: L 6 KR 71/14 B ER diesem Vorgehen eine Absage erteilt und damit vielen Betroffenen eine Entscheidung an die Hand gegeben, die bei der Durchsetzung von Rehabilitationsansprüchen sehr wertvoll ist. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der 18-jährige B. beging unter Drogeneinfluss einen bewaffneten Raubüberfall auf eine Tankstelle. Er wurde zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren und 4 Monaten verurteilt, die durch Unterbringung im Maßregelvollzug vollstreckt werden soll und auf die die Untersuchungshaft angerechnet wird. Dem Maßregelvollzug wollte B. entgehen. Er beantragte daher zunächst bei der Deutschen Rentenversicherung eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation (Drogentherapie). Er brauche zur Vermeidung weiterer Straftaten therapeutische Hilfe. Die Deutsche Rentenversicherung leitete wegen Fehlen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen den Antrag an die Krankenkasse weiter, bei der B. familienversichert ist. Die Krankenkasse lehnte die Übernahme einer stationären Entwöhnungsbehandlung ab. Sie bezieht sich dabei auf ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen. Es läge keine ausreichende Eigenmotivation vor. B sei labil. Der Entzug (vor der Straftat) sei teilweise gegen seinen Willen erfolgt, es bestehe keine regelhafte Anbindung an eine Suchtberatungsstelle oder Selbsthilfegruppe und auch keine Behandlung bei einem Suchtspezialisten. Es könne nicht von einer positiven Rehaprognose ausgegangen werden. B. legte gegen diese Entscheidung Widerspruch ein. Er wolle die Möglichkeit des Konzeptes einer Therapie statt Strafe nach § 35 BtMG nutzen. Er legte eine Motivationserklärung vor, in der er darlegt, warum er sich jetzt freiwillig einer Drogenentwöhnungstherapie unterziehen will. Zugleich beantragte B. beim Sozialgericht Halle den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Er begehrte die Verpflichtung der Krankenkasse zur Erteilung einer Zusage zur medizinischen Rehabilitation in Form einer stationären Drogenentwöhnungstherapie. Das Sozialgericht Halle hat den Antrag abgelehnt. Die angestrebte medizinische Rehabilitation könne im Rahmen des Maßregelvollzuges durch Unterbringung in einer Entziehungsanstalt absolviert werden. Gegen diese Entscheidung legte B. Beschwerde ein. Das Berufungsgericht hat die Krankenkasse verpflichtet, B. eine Zusage auf Übernahme einer konkret zu benennenden stationären Rehabilitationsmaßnahme zur Drogenentwöhnung zu erteilen – die für den Fall der Zurückstellung der Vollstreckung der Strafe bzw. der Maßregel durchgeführt wird. Ohne Zusage zur Gewährung der Therapie müsste B. im Maßregelvollzug verbleiben – obwohl es die Möglichkeit einer Zurückstellung nach dem Betäubungsmittelgesetz gibt. Dies stelle einen wesentlichen Nachteil dar, wodurch B erheblich in seinen Rechten verletzt wird. B habe einen Anspruch auf Zusage der begehrten Rehabilitationsmaßnahme als einer aufschiebend bedingten Leistung. Die aufschiebende Bedingung für die Erbringung der begehrten Leistung sei die vorherige Zurückstellung der Vollstreckung der verhängten Maßregel der Vollstreckungsbehörde im Hinblick auf die Zusage des B. und eines Kostenträgers zur Durchführung der Rehabilitation. Das Gutachten des MDKJ habe belegt, dass die Indikation für eine längerfristige Drogenentwöhnungsbehandlung bestehe, auch gäbe es grundsätzlich keine geeignete ambulante Maßnahme. Für die Rehabilitationsfähigkeit des B. spräche die Wirkungsweise des Konzeptes „Therapie statt Strafe“. Gerade bei einer Zurückstellung der Straf- bzw. Maßregelvollstreckung könne am wirkungsvollsten erzieherischer Druck ausgeübt werden, denn bei Abbruch der Behandlung müsse der straffällig gewordene Drogenabhängige mit der Fortsetzung des Strafvollzuges rechnen. Die nähere Bestimmung einer Therapiemaßnahme unterläge nach § 40 Abs.3 SGB V dem Ermessen der Krankenkasse. Eine Entwöhnungsmaßnahme hat den Qualitätsanforderungen der Vereinbarung „Abhängigkeitserkrankungen“ vom 04.05.2001 zu genügen – auch wenn sie hier ausnahmsweise nicht zu Lasten der Rentenversicherung zu erbringen sind. Aus meiner Sicht eine gute Entscheidung und eine lange überfällige Klarstellung des vom Gesetzgeber formulierten Erziehungsansatzes „Therapie statt Strafe“.

Constanze Würfel Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht

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