Das Bundessozialgericht stärkt das Grundrecht auf Gesundheitsschutz

B 1 KR 1/17 R

Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin beantragte die Versorgung mit medizinisch erforderlichen Liposuktionen (Fettabsaugungen). Die Beklagte ließ die Klägerin vom Sozialmedizinischen Dienst für ein Gutachten untersuchen und lehnte den Antrag gut sechs Wochen nach Antragseingang ab. Die Klägerin verschaffte sich daraufhin die Liposuktionen stationär und ambulant auf eigene Kosten(15.271,44 Euro)in einer Privatklinik selbst. Mit ihrer Klage auf Kostenerstattung blieb die Klägerin beim Sozialgericht Karlsruhe ohne Erfolg. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg wies ihre Berufung ebenfalls zurück. Die Liposuktion unterfalle nicht der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Qualität und Wirksamkeit dieser neuen Behandlungsmethode seien nicht ausreichend belegt. Die verzögerte Verbescheidung habe deshalb auch keine Genehmigung des Antrags fingiert. Im Übrigen entsprächen die Rechnungen für Anästhesie und Übernachtung nicht der GOÄ.

Der 1.Senat des BSG hat die Ablehnungsentscheidung der beklagten Krankenkasse aufgehoben und die Sache hinsichtlich des Anspruchs auf Zahlung von 13 771,44 Euro an das LSG zurückverwiesen Im Übrigen (hinsichtlich des Anspruchs auf Zahlung weiterer 1500 Euro) wurde die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung der Kosten, die ihr durch die fingiert genehmigten Liposuktionen entstanden sind (bis auf den Eigenanteil für die stationäre Behandlung). Der Antrag auf medizinisch erforderliche Liposuktionen wegen Lipödems (Fettgewebsvermehrung) wurde nicht rechtzeitig beschieden und die Behandlung war subjektiv erforderlich. Mit der Leistungsablehnung durch die beklagte Krankenkasse war die Klägerin nicht mehr an zugelassene Leistungserbringer gebunden. Die ihr entstanden kosten für eine Anästhesie, deren Abrechnung nicht der GOÄ entsprach, sowie die Übernachtungskosten sind nicht zu erstatten.

B 1 KR 26/16 R

Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte, an Adipositas (Grad III) leidende Klägerin beantragte eine bariatrische Operation (Adipositaschirurgie). Die Beklagte forderte von der Klägerin telefonisch Unterlagen an, beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung mit der Begutachtung und setzte die Klägerin hierüber in Kenntnis. Nach der Begutachtung lehnte die Beklagte es rd. 8 Wochen nach Antragstellung ab, die operative Therapie zu bewilligen. Dagegen klagte die Versicherte. Das Sozialgericht Nürnberg verurteilte die Beklagte, der Klägerin eine bariatrische Operation als Sachleistung aufgrund fingierter Genehmigung zu gewähren. Das Bayerische Landessozialgericht wies auf die Berufung der Beklagten hin die Klage ab. Eine Leistungsablehnung nach Ablauf der gesetzlichen Frist mit der Folge einer Genehmigungsfiktion begründe allenfalls einen Erstattungs, nicht aber einen Naturalleistungsanspruch. Auch erfülle die Klägerin nicht die medizinischen Voraussetzungen des Anspruchs auf Versorgung mit einer bariatrischen Operation.

Der 1.Senat des BSG hat auf die Revision der Klägerin das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt und der Klage stattgegeben. Die Klägerin hat kraft Genehmigungsfiktion Anspruch auf Versorgung mit einer bariatrischen Operation. Die Klägerin erfüllte die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion. Insbesondere stellte sie einen fiktionsfähigen Antrag. Hierfür genügt es, dass das Behandlungsziel - hier die bariatrische Operation - klar ist. Da die beklagte Krankenkasse über den Antrag nicht binnen drei Wochen entschied, ohne hierfür Gründe mitzuteilen, gilt die Leistung als genehmigt. Die telefonische Anforderung von Unterlagen bei der Klägerin erfüllte weder die gesetzlich geforderte Schriftform noch erfolgte eine taggenaue Fristverlängerung. Die verspätete Ablehnung des Antrages durch die Beklagte stellt auch keine Rücknahme der Genehmigung dar. Dies wäre nur beim Fehlen von Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion möglich.

Fazit: Ziel des Gesetzgebers war es, mit der Fristenregelung des § 13 Abs. 3a SGB V Versicherte vor den Folgen eines unangemessen langen Verwaltungsverfahrens zu schützen und eine zu langsam arbeitende Krankenkasse zu sanktionieren. Für die Versicherten und ihren Rechtsbeistände sind die Entscheidungen ein gutes Instrument, das Grundrecht auf Gesundheitsschutz durchzusetzen.

Constanze Würfel Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht

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