Gesetzlich Krankenversicherte haben seit März 2017 bei einer Erkrankung, die lebensbedrohlich ist oder die aufgrund der Schwere die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigt, Anspruch auf die Versorgung mit medizinischem Cannabis - in Form von getrockneten Blüten oder -extrakten sowie Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon.
Konkreteres ist in der Arzneimittel-Richtlinie geregelt – bsp.weise, dass Cannabisarzneimittel vorrangig zu verordnen sind, verglichen mit getrockneten Cannabisblüten oder -extrakten. Grundsätzlich ist – wie bei anderen Verordnungen auch – das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten.
Der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin entscheidet, ob eine Behandlung mit cannabishaltigen Produkten für den einzelnen Patienten oder die Patientin angezeigt und sinnvoll ist. Vor der Erstverordnung stellt der Arzt oder die Ärztin für den Patienten oder die Patientin einen hinreichend medizinisch begründeten Antrag auf Kostenübernahme bei der AOK.
Darin müssen zu folgende Voraussetzungen klare Aussagen getroffen werden:
Eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsalternative ist nicht verfügbar oder kann im Einzelfall nach ärztlicher Einschätzung unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes nicht angewendet werden. Zudem muss eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome bestehen
Stehen für die Behandlung der Erkrankungen Methoden zur Verfügung, die dem medizinischen Standard entsprechen, bedarf es der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes, warum diese Methoden nicht zur Anwendung kommen können. Für eine derartige ärztliche Einschätzung hat die Rechtsprechung hohe Anforderungen formuliert, vgl. BSG, Urteil vom 29. August 2023 – B 1 KR 26/22 R.
Sie muss eine Dokumentation des Krankheitszustandes mit bestehenden Funktions- und Fähigkeitseinschränkungen aufgrund eigener Untersuchung des Patienten und ggf. Hinzuziehung von Befunden anderer behandelnder Ärzte, die Darstellung der mit Cannabis zu behandelnden Erkrankungen, ihrer Symptome und des angestrebten Behandlungsziels, bereits angewendete Standardtherapien, deren Erfolg im Hinblick auf das Behandlungsziel und dabei aufgetretene Nebenwirkungen; die noch verfügbaren Standardtherapien, deren zu erwartender Erfolg im Hinblick auf das Behandlungsziel und dabei auftretende Nebenwirkungen, und die Abwägung der Nebenwirkungen einer Standardtherapie mit dem beschriebenen Krankheitszustand und den möglichen schädlichen Auswirkungen einer Therapie mit Cannabis enthalten.
Ärzte und Ärztinnen mit einer bestimmten Qualifikation können inzwischen medizinisches Cannabis auch ohne Genehmigung der Krankenkasse verordnen. Konkret gilt das für folgende Fachärzte und Fachärztinnen für: Allgemeinmedizin, Anästhesiologie, Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit Schwerpunkt Gynäkologische Onkologie, Innere Medizin, Innere Medizin mit den Schwerpunkten Angiologie, Endokrinologie und Diabetologie, Gastroenterologie, Hämatologie und Onkologie, Infektiologie, Kardiologie, Nephrologie, Pneumologie sowie Rheumatologie, Neurologie, Physikalische und Rehabilitative Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie.
Darüber hinaus können auch Ärzte und Ärztinnen anderer Fachrichtungen medizinisches Cannabis ohne Genehmigung der Krankenkasse verordnen, wenn sie eine der folgenden Zusatzbezeichnungen haben: Geriatrie, Medikamentöse Tumortherapie, Palliativmedizin, Schlafmedizin, Spezielle Schmerztherapie.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat die Ergebnisse einer Begleitstudie ausgewertet. Seit dem 30. Juni 2023 gelten bei der Verordnung von medizinischem Cannabis u.a. folgende geänderte Regeln:
Alle an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte dürfen Cannabis verordnen, also auch Hausärztinnen und Hausärzte.
Die erstmalige Verordnung von Cannabis bedarf weiterhin einer Genehmigung durch die Krankenkasse. Dasselbe gilt bei einem grundlegenden Therapiewechsel. Ausnahmen bestehen für Fachärzte und Fachärztinnen mit den zuvor genannten Fachrichtungen und Zusatzbezeichnungen.
Folgeverordnungen, Dosisanpassungen oder Wechsel der Cannabisextrakte in standardisierter Form oder innerhalb der getrockneten Blüten sind jederzeit ohne Genehmigung durch die Krankenkasse möglich.
Vor einer Behandlung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten muss der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin prüfen, welche anderen cannabishaltigen Fertigarzneimittel verfügbar sind, die sich gleichermaßen zur Behandlung eignen könnten. Grundsätzlich sind diese zu bevorzugen.
Im Rahmen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) bedarf es keiner Genehmigung durch die Krankenkasse mehr. Es gilt eine verkürzte Genehmigungsfrist von drei Tagen.
Wichtige Aussagen zum Rechtsanspruch auf eine Versorgung mit medizinischem Cannabis enthalten die Entscheidungen des BSG vom 10.11.2022, Az.: B 1 KR 9/22 R und 29.08.2023, Az.: B 1 KR 26/22 R.
Constanze Würfel
Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht